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Nachrichten | 23.04.2018 – 23.05.2018

Volles Haus bei der Diskussion zur ärztlichen Versorgung im Zabergäu

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Seit der Schließung des Krankenhauses in Brackenheim ist das Thema Notfallpraxis ein Reizthema bei vielen Bürgerinnen und Bürgern im Zabergäu, ganz speziell auch in Güglingen.

Nach wie vor besteht in der Bevölkerung große Verunsicherung darüber, ob und wie es mit der Notfallversorgung weitergeht.

Auf gemeinsame Einladung der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch und Bürgermeister Ulrich Heckmann fand am Dienstag in der Herzogskelter eine Diskussionsveranstaltung zu diesem Thema statt, bei der die beiden Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Norbert Metke und Dr. Johannes Fechner gekommen waren, um Rede und Antwort zum Thema Ärzteversorgung zu stehen. Moderiert wurde der Abend von Privatdozent Dr. Michael Preusch.

Dass die rund 200 geplanten Sitzplätze voll belegt waren, zeigt einmal mehr, wie sehr das Thema die Bürger umtreibt. Auch zahlreiche Bürgermeisterkollegen aus den umliegenden Städten und Gemeinden konnte Ulrich Heckmann begrüßen.

 gurr-hirsch

Dass es mit der ärztlichen Versorgung vor allem im ländlichen Raum nicht zum Besten bestellt ist, zeichnet sich seit Jahren ab, so Friedlinde Gurr-Hirsch. Das hat mehrere Gründe: Da spielen unter anderem die Überalterung der Ärzteschaft, die Bürokratisierung und die sich wandelnde Einstellung zum Arbeitsalltag – Stichwort Work-Life-Balance – eine Rolle.  

36 % der Hausärzte in Baden-Württemberg seien über 60 Jahre alt, führt Dr. Metke in seiner Präsentation aus. Bei den Fachärzten seien es 30 %. Zudem stehe schon heute fest, dass ein Drittel der in den nächsten Jahren ausscheidenden Ärzte keinen Nachfolger finden wird.

Hier sei entscheidend, dass inzwischen die meisten jungen Ärzte Frauen seien, die Familie und Beruf unter einen Hut bekommen wollen und müssen. Sie bevorzugen daher ein Angestelltenverhältnis, in dem man Teilzeit arbeiten könne. Zudem gehe insgesamt die Bereitschaft zurück, 60-70 Stunden in der Woche zu arbeiten, wie es bei den Landärzten „alten Schlags“ oft die Regel war. Schließlich nimmt die Bürokratisierung ständig zu und auch der Prüf- und Kontrollwahnsinn, von dem Metke spricht, schrecke viele Ärzte ab, eine Praxis zu eröffnen.

Viele Bürgerinnen und Bürger berichten davon, dass es schon jetzt schwierig sei, einen Arzt zu finden und wenn man einen habe, dauert es zum Teil sehr lange, bis man einen Termin bekommt.

Dieses Problem sehen die Vertreter der KV nicht. Laut den Zahlen ist der Landkreis gut mit Ärzten versorgt, es bestehe sogar eine leichte Überversorgung.

Auch in Sachen Notfallversorgung sprechen die Zahlen, wie es scheint, eine andere Sprache, als die Wahrnehmung der Bürger in Sachen Ärzteversorgung.

Der Landkreis sei gut versorgt, erläutert Metke. 30 Minuten bis zur nächsten Notfallpraxis seien bundesweit Standard und auch im Zabergäu gewährleistet, egal ob Brackenheim nun ein Praxisstandort sei oder nicht.

Das sehen viele Bürger, die sich auch zu Wort melden anders. Es sei definitiv nicht möglich, von Güglingen in 30 Minuten bei einem Arzt zu sein, ist sich ein Großteil der Zuhörerschaft einig. Zudem wird von stundenlangen Wartezeiten im Gesundbrunnen in Heilbronn berichtet.heckmann

Das sind aber keine Argumente dafür, dass eine Notfallpraxis in Brackenheim gebraucht wird, hat man den Eindruck, wenn man die beiden Vertreter der KV an diesem Abend anhört.

Eher das Gegenteil ist der Fall. Man werde die Praxis in Brackenheim, wie sie derzeit noch bestehe, ganz genau beobachten und auf den Prüfstand stellen, so Dr. Fechner. Dabei gehe es nicht darum, wie viele Leute in die Praxis kommen, sondern auch darum, mit welchen Beschwerden. Für Lappalien brauche man keine Notfallpraxis, so Fechner. Außerdem finde man ja sowieso keine Ärzte, die eine Praxis dauerhaft betreiben könnten, ist ein Argument, dass immer wieder angeführt wird.
Sichtlich überrascht war Fechner dann doch über die vielen Hände, die im Raum auf die Frage nach oben gingen, wer denn in den letzten Jahren stationär im Brackenheimer aufgenommen war. Das zeigte, entgegen seiner Vermutung, wie wichtig, das Krankenhaus für die Bürger als Anlaufstelle war und dass nicht jeder im Zabergäu, der ins Krankenhaus muss, sowieso nach Heilbronn oder Stuttgart gefahren ist.

Auch Dr. Haiges, der als ehemaliger Güglinger Arzt nun Schichten in der Notfallpraxis übernimmt, ist sich sicher, dass die Praxis notwendig ist und gut arbeitet.

Das alles erklärt, warum sich die Bürger mit der Notfallpraxis als Trostpflaster gegen die Schließung des Krankenhauses nicht zufrieden geben wollen. Zumal der Fortbestand der Praxis bisher alles andere als gewiss ist. Ein weiteres Problem, das die Menschen aufbringt, erläutert Bürgermeister Heckmann. Dass die Praxis nämlich nicht beworben werden dürfe und die Telefonnummer nicht bekannt gegeben werden soll. Wenn man so mit der Praxis umgehe und Patienten versucht abzuschrecken mit dem Hinweise, dass es keine Gerätschaften gebe,  könne man natürlich davon ausgehen, dass die Fallzahlen gering sind. Das Verhalten der KV in Sachen Notfallambulanz könne er sich nur vor dem Hintergrund erklären, so Heckmann, dass sie eine möglichst schnelle Schließung wolle.

Er werde sich aber weiterhin vehement für den Erhalt der Praxis einsetze, versichert der Bürgermeister mit Nachdruck.

Zudem arbeite er in Fragen der ärztlichen Versorgung eng mit seinem Kollegen Rolf Kieser aus Brackenheim zusammen, was für die Kommunen gut sei.

Wenn man die Bürger am Dienstag in der Herzogskelter anhört, ist da wenig Verständnis für das Verhalten der Kassenärztlichen Vereinigung zu sehen, sondern vielmehr Zweifel, ob sie ihrer Versorgungspflicht nachkommt. Und in wie weit die Appelle, die Anliegen der Zabergäuer mit- und ernst zunehmen tatsächlich ankommen, da kann man gespannt sein.

diskussion

Immer wieder wird in den Wortmeldungen auch der Kreistagsbeschluss vorgebracht, der nach der Schließung des Krankenhauses getroffen wurde und der in einem Punkt die Einrichtung der Notfallpraxis vorsieht. Diesen Beschluss fordern die Zabergäuer jetzt ein.

Auch Friedlinge Gurr-Hirsch, die die Veranstaltung initiiert hatte und sich schon seit Jahren politisch für eine Verbesserung der Ärztesituation speziell auf dem Land einsetzt, hält weiter an der Umsetzung des Beschlusses fest. Sie räumt aber auch ein, dass die Gemengelage sehr schwierig sei. Das Außenbild von Deutschland sei in der Sache nach wie vor ein ganz gutes. Dennoch gibt es viele Schwächen, z.B. was die Ausbildung der Ärzte, die Zulassungsbedingungen zum Studium und die Arbeitsbedingungen in der Branche angeht.

Die Aufforderungen an die Politik, vor allem auch auf Bundesebene, ist an diesem Abend nicht zu überhören und man kann nur hoffen, dass die neue Bundesregierung in diese Richtung Schritte unternimmt, die auch der Versorgung mit Ärzten im ländlichen Raum wieder bessere Vorzeichen beschert.